Vikar Erik Nestler führte anlässlich des Dienstjubiläums dieses Gespräch mit Pfarrerin Ulrike Veermann:
Liebe Ulrike, 30 Jahre in und für die der Lutherkirche – wie fühlt es sich an?
Wie ein halbes Leben, kann man sagen. Gefüllte Jahre mit ganz viel Unterschiedlichem. Und eigentlich noch nicht wirklich wahr.
Gibt es herausragenden Ereignisse, an die du dich erinnerst?
Ich habe eine Gemeinde im Wandel über die 30 Jahre erlebt. Anfangs mit 2 Pfarrpersonen in 2 Bezirken mit über 4.000 Gemeindegliedern, von denen 50 % über 70 waren. Bis hin zu einer Gemeinde heute mit 1,25 Pfarrstellen, 3.200 Gemeindegliedern und nur noch 500 Personen über 70. Schon das ist eine unglaubliche Veränderung gegen den Trend in der Kirche. Besondere Erlebnisse sind sicher die Abschiede. Einmal der Abschied von meinem ehemaligen Kollegen, Jürgen Faber, der in den Ruhestand gegangen ist. Das ist jetzt auch schon 26 Jahre her. Und dann die Suche nach einem neuen Kollegen, der mit der halben Arbeitszeit kommen sollte. Eine große Vorfreude damals und dann in der Zusammenarbeit aber auch die schmerzliche Erfahrung, dass nicht alles funktionieren kann. Das war sicherlich die schwierigste Zeit. Und dann natürlich auch die schönen großen Dinge: Zum 100. Jubiläum der Lutherkirche, die Grundsanierung und damit eine helle, strahlende Kirche geschaffen zu haben, zusammen mit dem Presbyterium und dem Architekten. Was mich auch beschäftigt hat, ist der Wandel der Kita(s). Damals hatten wir zunächst eine Kita in der Sternenburgstraße, für die ich plötzlich zuständig wurde.
Eine neue Leitung kam und damit änderte sich auch grundlegend die Atmosphäre. Man konnte es förmlich spüren: die mögen sich, die kommen miteinander zurecht. Und das wirkte sich letztlich auch auf die Arbeit aus. Als die Stadt eine neue Kita ausschrieb, haben wir die Gelegenheit dann ergriffen und gegen den Trend eine zweite Kita eröffnet. Wenn ich darauf zurückblicke, ist das eine besonders schöne Zeit, für die ich dankbar bin. Einer der größten Schätze unserer Gemeinde ist dabei das Engagement der annähernd 35 Mitarbeitenden, welches die Gemeinde letztlich trägt. Sie verstehen sich als Gemeinde und nicht nur als Angestellte.
Mit welcher Vision bist du vor 30 Jahren angetreten?
Als ich 1994 hier angefangen habe, gab es noch keine Ziele, sondern Aufgaben, die klar aufgeteilt waren. Ich war damals für die Seniorenarbeit zuständig. Das Entwickeln von eigenen Zielen ist dann erst sukzessive dazugekommen. Von einem Tag auf den anderen kam die Arbeit mit den Familien und den Kindertagesstätten dazu. Ich glaube, darin eine Stärke von mir gefunden zu haben, nämlich die Ermutigung und Begleitung der Mitarbeitenden. Das ist aber eine Geschichte, die wir gemeinsam entwickelt haben. Wir können auf kurzen Zuruf miteinander arbeiten und uns aufeinander verlassen. Und das nicht nur mit den Kitas, sondern auch mit unserem wunderbaren Jugendleiter Uwe Janser. Das hat meine ganzen Jahre ausgemacht und darauf bin ich stolz.
Besonders war auch die Arbeit unseres Vereins Kunstraum Kirche, der unseren Kirchraum immer wieder neu herausgefordert hat. Die ersten Anfragen zur Kunst landeten immer bei mir. Das Suchen über das Festgelegte hinaus und nach neuen Formen hat mich immer sehr angeregt und hat mich weiterdenken lassen. Da hat es eine Entwicklung in der Gemeinde gegeben, an der ich mitmachen durfte und mich auch entwickelt habe.
Gab es auch Schweres in dieser Zeit?
Ich hatte viel Glück hier in diesen 30 Jahren. Mit Presbyterien, die wunderbar zusammenzusammengearbeitet haben. Wenn es doch mal Kontroversen gab, so wurden sie immer auf eine angenehme Art und Weise gelöst. Das ist ein Pre, was die Lutherkirche hat, dass mir das Arbeiten immer erleichtert hat. Natürlich hat es immer mal wieder auch Begegnungen gegeben, in denen ich im Nachhinein vielleicht hätte anders reagieren sollen oder aufmerksamer sein können.
Hattest du eigentlich mal vor, die Gemeinde zu wechseln?
Ich habe immer gesagt, dass ich sehr gern hier bin. Wenn, dann es müsste etwas sein, dass mich mehr reizt als Luther. Da hat es eine Situation gegeben, da wäre ich fast gegangen: ein Pfarrstellenangebot in Rom. Diese Stadt, in der ich einmal studiert habe, hat mich immer fasziniert und sie reizt mich bis heute. Aber dann hat es das Privatleben verhindert.
Ich hatte eine Freundin bei mir aufgenommen, die hier angefangen hat zu studieren und auf meine Wohnung angewiesen war. Wäre das Angebot drei Monate vorher gekommen, wäre mein Lebensweg sicherlich gänzlich anders verlaufen. Danach kam aber nichts anderes mehr, was Luther getoppt hätte. Bin ich zu bequem gewesen oder liegt es an Luther? Das müssen die Leser*innen selber entscheiden.
Wie sieht dein Ausblick auf die kommenden Jahre bis zu deinem wohlverdienten Ruhestand aus?
Unsere Grundsituation hat sich verändert. Unsere ganze Kirche hat sich verändert. Deshalb fällt es mir auf der einen Seite schwer, mir vorzustellen, dass ich in den Ruhestand gehen werden. Aber zum anderen bin ich froh, dass ich bestimmte Entwicklungen dann nur noch als Gemeindeglied wahrnehmen kann. Wir haben hier in den 30 Jahren gemeinsam Dinge entwickelt. Wir waren dabei immer stolz, dass wir Luther sind. Und ich war immer stolz darauf, dass wir Rheinische Kirche sind. An Letzterem hat sich doch etwas verändert. Unsere Kirche geht einen Weg, der nicht mehr mein Weg ist. Es wird Veränderungen geben. Wenn ich gehe, wird es keine Lutherkirche mehr geben, so wie es bisher war. Es wird eine neue Gemeinde geben, die aus vier ehemaligen Kirchengemeinden besteht.
Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen daran erinnern, dass ich zusammen mit meinen Kolleg:innen nach einem Weg gesucht habe, der zukunftsfähig ist und gleichzeitig Identifikation ermöglicht. Wenn sie dann noch sagen, sie konnte gut beerdigen, taufen und trauen, würde ich mich natürlich auch freuen.
Das wird auf jeden Fall in Erinnerung bleiben. Was wünscht du der Gemeinde?
Ich wünsche der Gemeinde, dass das Gefühl „wir sind Luther“ auch unter einem neuen Namen erhalten bleibt. Das es weiter das Besondere in hier gibt und man sich auch weiterhin um die Lutherkirche herum zu Hause fühlen kann. Denn der Name wird bleiben.
Was wünscht du dir für deine Verabschiedung in 3 Jahren?
Ich hätte gern ein fröhliches Fest, bei dem man sich an die schönen Dinge erinnert.
So soll es sein. Jetzt freuen wir uns aber erstmal, dass wir dich noch haben! Zum Glük bleibst du uns noch etwas erhalten. Vielen Dank für das Gespräch.
(csc/Fotos: privat 11.11.2024)